Aussenminister Tuomioja in der Aussenministerversamlung des Ostseerates: "Die Nördliche Dimension und die Osterweiterung der Europäischen Union", Hamburg, den 6. Juni 2001

Hamburg, den 6. Juni 2001

Erkki Tuomioja,
Minister für Auswärtige
Angelegenheiten Finnlands


"Die Nördliche Dimension und die Osterweiterung der Europäischen Union"

Meine Damen und Herren,

es freut mich sehr, hier in der Freien und Hansestadt Hamburg - in dieser alten und traditionsreichen Hafen- und Handelsstadt in der südlichsten Region der Nördlichen Dimension - über die gemeinsame Zukunft und die Entwicklungsperspektiven Nordeuropas zu sprechen. Dies freut mich um so mehr, wenn wir bedenken, wie viele Jahre enge Beziehungen zwischen Finnland und dieser Region bereits bestehen.

Die finnische Seemannskirche in Hamburg feiert derzeit ihr hundertjähriges Jubiläum. Natürlich hat sich ihre Tätigkeit im Laufe der Jahre mehrere Male gewandelt. Zusätzlich zu den Seeleuten kümmert sich die Kirche heute zum Beispiel um finnische Fernfahrer, indem sie ihnen an Wochenenden die Möglichkeit zur Unterkunft und Erholung bietet. Das Finnische Generalkonsulat war wiederum eine unserer ersten Auslandsvertretungen, nachdem Finnland unabhängig geworden war. Wenn wir auch die Zeit, als Finnland zu Schweden gehörte, berücksichtigen, waren wir bereits damals hier, als die schwedische Post im Jahre 1620 ihr erstes Auslandsamt gerade hier in Hamburg eröffnete. Die Postlinie Hamburg-Markaryd-Stockholm wurde eine Verbindungslinie des damaligen Finnland nach Kontinentaleuropa.

Zu einem Diskussionsthema wurde die Nördliche Dimension viel später, als sich Finnland, Schweden und Norwegen im Herbst 1994 auf die Volksbefragungen über ihren Beitritt zur Europäischen Union vorbereiteten. Man wollte die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union darauf aufmerksam machen, dass es im Norden Europas Kooperationsräume gibt, die der ganzen Union nutzen können. Die von Finnland 1997 ergriffene Inititiative zu einer Nördlichen Dimension hat die Vorarbeiten, eine gemeinsame Grundlage für die Entwicklung der nördlichen Regionen zu schaffen, in Gang gebracht. Auf der Tagung des Europäischen Rates in Feira im Juni vorigen Jahres wurde ein Aktionsplan verabschiedet, der den Ländern der Region - so hoffen wir - dazu verhelfen wird, die in diesem Plan gesetzten Ziele auf mehreren aktuellen Kooperationssektoren zu erreichen. Bei der Nördlichen Dimension handelt es sich um einen Prozess, der Teil der Aussenbeziehungen und einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Europäischen Union ist und der sich auf eine Analyse über eine zunehmende, positive Interdependenz zwischen der EU und den nördlichen Regionen Europas gründet. Dabei geht es nicht mehr um eine Politik, die von einem Mitgliedsland betrieben wird, sondern um bestehende Aussenbeziehungen, die sehr partnerorientiert sind.

Die künftige Erweiterung der Europäischen Union in Richtung Osten verstärkt die Stabilität in der ganzen Region. Die Nördliche Dimension unterstützt den Erweiterungsprozess der EU. Die Bedeutung der Nördlichen Dimension wird wachsen, nachdem die Erweiterung vollzogen ist. Als “Binnenmeer” der Union wird die Stellung der Ostsee als die wichtigste Verkehrstrasse des russischen Aussenhandels gestärkt. Die Ostsee ist seit jeher für ihre guten Handelsverbindungen bekannt und die Seestrassen dieser Region gewinnen auch in Zukunft an Bedeutung.

Nach der von der Hamburger Handelskammer im September 2000 veröffentlichten Studie “Mare Balticum” ist der Ostseeraum eines der am raschesten wachsenden Wirtschaftsgebiete der Welt. Diese Studie hat der Diskussion wertvolle statistische und makroökonomische Hintergrundfakten gegeben. In diesem Raum wohnen etwa 90 Millionen Menschen und der Anteil der Anrainerstaaten der Ostsee am Welthandel beträgt ungefähr 14%. Im Norden gibt es ein beträchtliches Wachstumspotential für ganz Europa.

Die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland werden im Zuge der Erweiterung noch enger. Der Schwerpunkt des russischen Aussenhandels hat sich in Richtung Nordeuropa verlagert. Über die Hälfte des russischen Aussenhandels wird über die Ostsee abgewickelt. Russland ist mehr als je zuvor von seinem Aussenhandel und dem europäischen Markt abhängig. Die Abhängigkeit Europas von russischer Energie, insbesondere vom Erdgas wächst in raschem Tempo. Ein Energiedialog zwischen der EU und Russland wird unter dem Schutz der Nördlichen Dimension geführt. Es geht dabei um die sogenannte Win-win-Situation, aus der beide einen Nutzen ziehen. Die Abmachungen, die zwischen der Union und Russland getroffen werden, betreffen auch die Bewerberländer.

Es wäre im Interesse aller Beteiligten, einen gemeinsamen Energiemarkt im Ostseeraum zu errichten. Der Aktionsplan für die Nördliche Dimension hat u.a. zum Ziel, die auf einer nationalen Behandlung beruhenden Voraussetzungen für einen grenzüberschreitenden Energiehandel zu schaffen und die Energienetze, die auf eine stufenweise Integration der Energiemärkte abzielen, aufzubauen und eine umweltfreundliche Produktion zu entwickeln. Diese schwierigen Fragen werden auf einer Energiekonferenz der Ostseestaaten in Sigtuna im Juni diskutiert.


Meine Damen und Herren,

in Kopenhagen wurden 1993 die Bedingungen für die Aufnahme neuer Mitglieder, die sogenannten Kopenhagener Kriterien, festgelegt. In den darauf folgenden acht Jahren ist viel geschehen. Die mitteleuropäischen Länder haben sich durch ihre Assoziierungsabkommen dem Binnenmarkt der EU rasch genähert. Die Türkei, Malta und Zypern sind durch ihre eigenen Vertragsregelungen vorangekommen.

Ein neuer Impuls für eine engere Integration von dreizehn Ländern in die Europäische Union wurde auf der Tagung des Europäischen Rates in Luxemburg im Dezember 1997 gegeben. Dort wurde der Rahmen für den Erweiterungsprozess festgesetzt und beschlossen, die Erweiterungsverhandlungen einzuleiten.

Die Verhandlungen werden mit sechs Ländern seit drei Jahren geführt und mit den übrigen sechs seit etwa einem Jahr. Wo die Verhandlungen am weitesten fortgeschritten sind, liegen alle Verhandlungsfragen bereits auf dem Tisch und nahezu zwei Drittel von ihnen sind schon gelöst worden. Wir rechnen damit, dass die übrigen Staaten im Laufe des Herbstes 2001 auch so weit vorangekommen sind. Unter der schwedischen Ratspräsidentschaft haben die Verhandlungen gute Fortschritte gemacht. Dies wird als einer der klaren Erfolge des Europäischen Rates in Göteborg im Juni verbucht. Wir hoffen, dass wir auch die gemeinsame Position der EU zur Freizügigkeit von Personen in die Liste von Erfolgen eintragen können.

Wenn wir von den Kernbereichen der Union , d.h. von der Freizügigkeit von Personen und Kapital, der Landwirtschaft sowie der Regional- und Strukturpolitik reden, müssen wir dafür sorgen, dass das Vertrauen in den Erweiterungsprozess sowohl in den alten Mitgliedsländern als auch in den Bewerberländern erhalten bleibt. Dazu tragen die für den Erweiterungsprozess geltenden Grundsätze bei. Jeder Beitrittskandidat darf nach seinen eigenen Verdiensten weiterkommen. Dies bedeutet, dass die Länder, die ihre Verhandlungen später eingeleitet haben, eine Aufholmöglichkeit haben.

Wie Aussenminister Iwanow bei seinem Besuch in Helsinki am 11. Mai festgestellt hat, profitiert auch Russland von der Erweiterung der Union. Wir hoffen, dass sich eine positive Interdependenz entwickeln wird, die die Stabilität fördern und die wirtschaftlichen Voraussetzungen verbessern wird. Derzeit lässt sich mit Recht sagen, dass es in der Region - zwischen Russland und Estland, Lettland sowie Litauen noch Belastungen gibt - u.a. die Minderheitenfragen - die die Entwicklung verzögern. Mit der Verstärkung der Kooperation kann die politische und soziale Stabilität im Grenzgebiet zwischen der sich erweiternden EU und Russland verbessert werden, wo zur Zeit eines der grössten Wohlstandsgefälle zu finden ist.

Unter deutscher Präsidentschaft hat der Ostseerat im vergangenen Jahr den Integrationsprozess gefördert. Russland übernimmt jetzt für ein Jahr den Vorsitz, und wir sind überzeugt, dass die unter deutscher Präsidentschaft gut in Gang gebrachte Arbeit zur Förderung der Nördlichen Dimension fortgesetzt wird.

Die Politik der Nördlichen Dimension wird mit Hilfe der bereits bestehenden Programme und Finanzierungsinstrumente verwirklicht. Die Leitlinien für die Nördliche Dimension bestimmen die Programme und die Handlungsweise der Union im Norden in den Jahren 2000-2003. Die Kofinanzierung von Projekten der Nördlichen Dimension durch internationale Finanzinstitute, die Kommission und die Mitglieds- und Partnerländer sowie Massnahmen, private Finanzquellen zu finden, spielen eine grosse Rolle in der Implementierung der Nördlichen Dimension. Die Koordination mit den Finanzierungsinstrumenten der EU ist wichtig.

Die von der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) in diesem Frühjahr geäusserte Bereitschaft, an der Finanzierung von Projekten teilzunehmen, ist ein bedeutender Fortschritt und kann bisher als das wichtigste Ergebnis der Nördlichen Dimension betrachtet werden. Die sogenannte Umweltpartnerschaft im Rahmen der Nördlichen Dimension dürfte auf der Tagung des Europäischen Rates in Göteborg verabschiedet werden. Diese Partnerschaft wird ein bedeutender Faktor in der Umweltkooperation sowohl in St. Petersburg als auch in Kaliningrad sowie im Bereich der Sicherheit von Kernkraftwerken und der Beseitigung nuklearer Altlasten und Abfälle sein.

Die Informationstechnologie spielt auch eine wichtige Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung des Ostseeraums. Der Übergang in die Informationsgesellschaft ist ein zentrales Ziel der EU in diesem Jahrtausend. In diesem Bereich sind wir in unserer Region schon weit fortgeschritten. Der Ostseerat prüft jetzt zusammen mit der Kommission die Möglichkeiten, die informationstechnologische Zusammenarbeit in der Region zu verbessern, indem ein eigener Aktionsplan für die Nördliche E-Dimension erstellt wird, der auf der Konferenz der IT-Minister der Region in Riga Ende September verabschiedet werden soll. Für die Entwicklung der Region ist es wichtig, dass auch Russland daran aktiv beteiligt ist. In der Region von St. Petersburg gibt es bedeutendes mathematisches und naturwissenschaftliches Wissen, das zum Beispiel durch Gründung von Informations- und Technologiezentren in diesem Gebiet gemeinsam genutzt werden sollte.

Eine oft erwähnte Herausforderung oder vielmehr Möglichkeit für die Nördliche Dimension liegt in Kaliningrad. Diese Region ist einer der Schwerpunkte der schwedischen Ratspräsidentschaft im Rahmen der Nördlichen Dimension gewesen. Die Hauptverantwortung für die Entwicklung der Region Kaliningrad haben Russland und die Region selbst, aber die EU, die Mitgliedsländer und die Nachbarländer sind bereit, die Entwicklung zu unterstützen.


Meine Damen und Herren,

die Politik der Nördlichen Dimension wird zum Integrationsprozess der Bewerberländer beitragen. Bei der Förderung der Nördlichen Dimension ist es wichtig, die Transparenz und die enge Zusammenarbeit mit den Partnerländern und insbesondere mit Russland beizubehalten.

Der Aktionsplan für die Nördliche Dimension kann nicht nur durch Massnahmen der Kommission und der Mitgliedsländer durchgeführt werden. Die Kooperation auf regionaler Ebene kann mit Recht als das aussichtsreichste Vorhaben im Ostseeraum betrachtet werden. Die Aktivität der Regionen und der Städte ist von grösster Bedeutung. Es ist wichtig, die Ideen und Ressourcen regionaler und lokaler Akteure besser zu nutzen. Ihren Einsatz hält die vom Ostseerat bestellte Studie über die Nördliche Dimension für zentral. Ich hoffe, dass die subregionalen Organisationen, die Gemeinden und die Städte ihre Arbeit zur Förderung der Nördlichen Dimension fortsetzen werden.

Die Staaten steuern nicht diese bedeutungsvolle Zusammenarbeit zwischen Organisationen und Regionen. Die Akteure setzen ihre eigenen Prioritäten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Organisation “Baltic Sea States Subregional Co-operation” (BSSSC), die 162 Mitgliedsregionen hat, u.a. die norddeutschen Bundesländer. Als der Ostseerat unter deutschem Vorsitz die Projekte der Nördlichen Dimension untersucht hat, ist ihm eine eindrucksvolle Prioritätenliste vorgelegt worden. Sie umfasst u.a. das Gesundheitswesen, die Informationsgesellschaft, die wirtschaftliche Entwicklung, den Tourismus und die Sicherheit von Kindern, um nur einige der wichtigsten zu erwähnen.

Die norddeutschen Bundesländer haben einen aktiven Beitrag zur Förderung der Nördlichen Dimension geleistet und seinerzeit ihr eigenes Positionspapier zur Vorbereitung des Aktionsplans vorgelegt. Diese Bundesländer halten auch direkte Kontakte mit den übrigen Regionen der Ostsee, zum Beispiel hat Mecklenburg-Vorpommern die Provinz Varsinais-Suomi und die Oblast Leningrad als Partner gefunden. Diesen Regionen sind u.a. die Autoindustrie und die damit zusammenhängenden Entwicklungsprojekte gemeinsam. Unseren Gastgeber, die Hansestadt Hamburg, verbindet mit dem Finnischen Meerbusen die Kooperation mit der Stadt St. Petersburg. Wie Sie wissen, fühlen sich die Finnen in St. Petersburg sowohl in negativer als auch in positiver Hinsicht wie zu Hause.

Im Hinblick auf die EU-Osterweiterung möchte ich noch zum Schluss die Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen benachbarten Gebieten hervorheben. Nach einigen Jahren bildet nicht nur die finnisch-russische Grenze. Die aktive Kooperation, die Finnland mit benachbarten Gebieten hat, ist unser nationales Instrument zur Implementierung der Nördlichen Dimension. Sie dient auch als Anknüpfungspunkt zur Vorbereitung von Projekten und zur Finanzierung von Machbarkeitsstudien. Auch die Nichtregierungsorganisationen können mit Hilfe dieser Finanzierung an den Projekten der Nördlichen Dimension teilnehmen, die normalerweise in den Rahmen der EU-Finanzierung nicht mit einbezogen werden können.

(Inoffizielle Übersetzung, es gilt das gesprochene Wort)




























































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